Die scheiß Juden. Die kontrollieren die Welt. Die Judenverschwörung. Die vergiften uns mit Chemtrails. Mit denen sprühen sie hirnzersetzende Kackepartikel runter. Die machen uns zu Dreideln. Und geben all unser Geld den jüdischen Konzernen, wie äh …
Es ist schon fast komisch, wie grotesk die Verschwörungstheorien um Juden sind. Richtig schlecht wird einem nur bei dem knallharten Antisemitismus, der einem weltweit entgegenschwappt. Man muss ja nicht mit dem Staat Israel übereinstimmen, besonders wenn er Gaza ausradiert, aber war da nicht mal was? Außer natürlich in der BRD, die hat ja aus den Weltkriegen gelernt. Ist ja nicht so, dass 20% der Deutschen laut Spiegel latente Antisemiten sind. Ein Fleck Erde den alle – und besonders Deutsche – hassen? Klingt nach Party, da muss man hin.
Außerdem ist der Flug verdammt billig. Da ignoriert man mal beflissentlich, dass ein Falafel 3€ und ein Bier 4€ kostet. Keine Touripreise, das zahlen die Einheimischen. Wie ist ein Rätsel. Der Flughafen Ben Gurion ist schicki to the max. Die Enterprise auf Naturstein. Traurige Herzluftballons gammeln an der Decke der monströsen Säulenhalle. Wlan ist kostenlos, Geld wechseln 4€. Kleine Einstimmung auf das, was einen erwartet. Aber auch der erste Eindruck ist schräg: Die Welt ist zu Gast – bei komischen Hutträgern. Von Russen, Amis bis zu Orthodoxen. Hier kommen alle Freaks zusammen.
Tel Aviv liegt um die Ecke. Es ist so das Surfers Paradise Israels. Entsprechend weit ab vom Schuss ist das billigste Hostel: Overstay. Aus dem kühlen Zug läuft man zum Busbahnhof. Hier beginnt Asien: Eine Hochautobahn drängt sich durch enge Häuserschluchten. Die bröseln ihrerseits, die Anwohner bauen verwinkelten Unsinn an, wo was abfällt. Unten trotzdem Verkehrschaos de luxe, es dröhnt lauter als auf dem Flughafen. Es riecht nach Staubbeton. Und Kiddies mit Maschinengewehren. Ja, das ist in Israel Grundausstattung. Frauen und Männer müssen 3 Jahre zum Grundwehrdienst, jedes Jahr dürfen sie noch mal ein paar Wochen nachlegen. In einen Gewehrlauf sieht man hier wie in den Spiegel. Die Busstation tarnt sich von außen als Ramschbasar. Von innen ist es noch viel schlimmer. Man nehme einen typischen DB Monsterbahnhof und subtrahiere: Übersichtlichkeit, Sauberkeit, vertrauenswürdige oder nützliche Läden (gut, gibt es auch da nicht viele, aber immerhin wollen die so aussehen) und Brandschutz. Das ganze Ding ist ein einziger in den 70ern gestrandeter Pottwal. Enge dunkle Gänge winden sich durcheinander, Treppen führen von und aus dem Nirgendwo, alles ist voll mit Elektronikglitzer und fettiger Pizza. Es ist die fabelhafte Welt der Cracknutte Amelie. Die Busse kommen alle paar Minuten, man muss also die Seitengänge auf jeden Fall auschecken. Die 7 (!) Stockwerke bieten viel Platz, um einen Escher zu schieben. Eben noch mitten im Trubel, ist man schnell in dunklen Ecken und leeren Hallen. Man bekommt das deutscheste aller Bedürfnisse: die Brieftasche festzuhalten. Die Treppen sind Toilettenersatz. Das Ganze ist der Traum eines jeden Junkies. In den Wurmfortsätzen findet man Graffiti und, merkwürdig, relativ anspruchsvolle Streetart. Das muss eine gute Stadt sein, wo begabte Junge Leute nachts durch die Pisse waten, um zu künsteln.
Der Bus fährt ganz oben ab, hoffentlich bevor der Bau zusammenkracht. Gut festhalten, denn es wird gerast wie im schlimmsten Barabistan. Überhaupt sieht bisher wenig nach Israel aus, eher nach Arabien. Ab durch die Bretterbuden, rein in das Stadtchaos, und im Industriegebiet wieder raus. Mit viel Glück findet man das Hostel – wieder durch riesige Streetart. Das Overstay ist der kleine Hippietraum im Schrottuniversum. Ein liebevoll aufgehübschter Betonklotz mit allem, was man braucht: ne menge Duschen, Dachterrasse, Frühstück inklusive. Egal wie mickrig das ist, als Erstes am Tag keine Kaufentscheidung fällen zu müssen, ist es wert. Es gibt auch Mietwagen. Nein, natürlich nicht. Dafür nimmt einen Olem (?), der aberganznichtautoritäre Chef gerne auf dem Roller mit in die Stadt. Bekommt man keinen Herzinfarkt, gibt er einem noch eine kleine Tour: Sein Hood "Shakira" (?) der gentrifiziert wurde und der Block Club. Geile Party heute, spielt wer unfassbar Cooles aus – dem Berghain. Nein, danke. Geh sterben. Der Club ist in einer üblen Gegend: um den alten Busbahnhof. Der liegt direkt hinter dem neuen. "Neu", das soll das 70er Raumschiff sein. Olem ist ein bisschen erstaunt, dass man da hin, nach Shearim, will: Wenn du ein Junkie bist, bist du nicht richtig bei uns. Aber packt es sogar, oder gibt es vor, als man erzählt, dass Interessantes eben oft als Kruste am Elend klebt. Dann gehts ab in die Fußgängerpassage, alle schwarz. Muss das Ghetto sein. Hauste am Lewinski Park nahe dem Strich. So dem Görli von Tel Aviv. Keiner scheint die Ironie bemerken zu wollen. Abstieg direkt vor ein gebrauchtes Kondom in der prallen Mittagssonne: Allahs Wege, einem zu zeigen, dass man richtig ist, sind ziemlich direkt.
Um die Ecke liegt die Finn Street. Auf israelisch bedeutet das Schwanz. Die Ironie kann man dann doch nicht leugnen. Die Straße sieht aus wie nach einem mittelschweren Bürgerkrieg. Sozialistisch anmutende Blöcke aus der frühen kibbuzorientierten Zeit Israels in den 50ern stützen sich gegenseitig. Kanalisation, Strom, Wäsche und alles, was in und an Kabeln läuft, knebelt ihre Fassade. Der Gedanke an überfüllter Teenieschränke drängt sich auf wie ein besoffener Onkel. Zwischendrin stehen noch ältere schuppenartige Gebilde. Was in Brandenburg schon lange Ruine wäre, spuckt hier fröhlich Leute aus. Mit Wandfarbe steht in Kinnderhandschrift „Night Bar“ über der Tür. An den Türen lehnen alte Babushkas und wollustieren in die Welt hinein. Die jüngeren Mädchen, meist schwarz, sehen einen mit großen weißen Augen aus dem Dunkel an. Empfohlenes Reisewetter für Shearim: Tageslicht. Schon da ist es mulmig. Gangs von Jugendlichen hängen ab, Alkis ziehen brabbelnd umher. Viele kommen aus dem trockenen Sudan und holen ihre 15-jährige Suffzeit mit 35 nach – und bleiben oft hängen. Man wird in Ruhe gelassen, ist ja nicht so, als gäbe es keinen massiven Polizeistaat. Am Ende der Straße steht eine alte Nutte im einzigen Sonnenfleck. Sie ist spärlich bekleidet, und was sie anhat, ist leider durchsichtig. Ihr Gesicht zeugt mindestens von so viel Zügen wie Schlägen. Ihr Bauch macht jedem Alki Konkurrenz. Aber sie steht da und genießt die Sonne, so ehrlich wie Jesus selbst es nicht besser gebracht hätte. Eine sehr unwirkliche Szene, zu schön um – die Bullen kommen. Zu viel Freunde. Fahren nur kurz vorbei, man dreht sich um. Man weiß ja nie, ob die gerade Bock auf Schießen haben und nicht sehen, dass ein Weißer dasteht. Geht klar, man dreht sich wieder nach vorne, und weg ist sie. Es gibt Dinge, die kann man nicht kaufen. Für alles andere gibt es ...
Tel Aviv hat eine Altstadt, Jaffa. Die hat ein paar pittoreske Gänge, ist insgesamt aber zu aufgehübscht, um sie ernst nehmen zu können. Im kleinen Hafen kann man gut Fisch essen, wenn man im Lotto gewonnen hat. Für alle anderen: man kann auch schon da sitzen und den noch lebenden Fischen im Hafenbecken zusehen. Ist zwar nicht so geil wie töten, aber Leid wird man schon noch genug sehen. Die Stadt sponsert eine kostenlose Tour durch Jaffa. Die überdrehten Guides geben sich alle Mühe, aber es ist trotzdem nicht viel mehr als Vergangenheitsvoyeurismus. Über jeden Stein kann man Tonnen erzählen, macht ihn trotzdem nicht interessanter.
Die Innenstadt will was sein. Die Straßen heißen Gordot, Schnitzler, Heine. Riesige Hochhäuser wurden zwischen die verwirrt zurück bleibenden Stadtvillen gerammt. Entweder die sind Luxus oder leer. Zwischendrin gibt’s nicht viel. Deswegen haben die Israelis 2011 auch gut auf den Putz gehauen. Der ganze Ethnienkonflikt macht eben mehr Spaß, wenn man eine Wohnung und was zu essen hat. Selbst auf dem quirligen HaCarmel-Shuk stehen Häuser in bester Lage leer. Der Markt hat wohl vergessen, das zu regeln. Florentine ist der Szenebezirk. Am interessantesten sind aber die angrenzenden postnuklearen Industriegebiete. Kleine Gassen verlaufen zwischen zugetaggten Schuppen. Die Ranzigkeit schafft Freiraum. Natürlich sitzt zwischen Auto- und Künstlerwerkstätten der obligatorische Applespast in einem klinischen weißen Büro. Vor ihm hat jemand dankenswerterweise einen Haufen Müll abgeladen, in dem die einzige Grille zirpt.
Vom Markt aus folgt man am besten den Fisch klauenden Katzen durch die engen Gassen von Kerem HaTeimanim. An jeder Ecke verkünsteln sich die Leute hier wieder, die Stadt ist ein Kino. Hinter dem letzten Betonklotzwall: der Strand. Groß, schön und sauber, wie er sein muss. Gesäubert eher, auch von Abschaum. Eben noch im Ghetto fühlt man sich hier wie in Hollywood. Nicht dem Junkieabranzhollywood, das es wirklich ist, sondern der Kitschfabrik. Jogger hoppeln an den riesigen Hoteltürmen vorbei, Bars leuchten hunderte Meter weit ins Wasser. Wirft das Meer noch die Nebelmaschine an, kann sich das echt sehen lassen. Wem das zu hübsch ist, der kann einfach nach Norden weitergehen. Ab der Mitte der Promenade werden die Hotels immer ranziger. Bis man vorm Carlton steht. Das ist so in die Fresse Brutalismus, dass man es kaum fassen kann. Was hat sich der Architekt gedacht? Ich wäre viel lieber in Wladiwostok? Man kann das Ding zur Not auch als NEUEN Busbahnhof nutzen? Über die x Treppen und klaustrophobischen Unterführungen ist man im Nullkommanichts aus der Strandidylle an der Autobahn. In düsteren Tunneln hängen traurige USA-Flaggen. Es stinkt nach den üblichen menschlichen Abfällen, und man ist froh, keine Flipflops zu tragen. Der ganze Komplex ist eine einzige Angstzone, eine Startbahn für Vergewaltigungen.
Die kann man sich aber gediegener im Nachtleben abholen. Tel Aviv eilt der Ruf voraus, der Club des Landes zu sein. Und es stimmt. An den Stränden gehen Raves ab, bei denen man nicht die Krustigkeit mit kaufen muss. Die sind der Ort der Wahl, denn in Clubs herrscht Pech oder Schwefel: Hiphop oder Frauenmangel. Die Bars quellen vor Feierwütigen über. Es ist atemberaubend, wie multiethnisch Israel ist. Die Angst vor Überfremdung von Vollspasten wie Sarrazin wirkt da nur noch wie Karikatur. Auf der Karte stehen heute: ein in Israel lebender Palästinenser, zu allem Überfluss noch Doktor und postnationalistischer Punk: I will be free when I burn the Palestinian flag. Äthiopische Beta Israel Juden, Mizrahi-Juden aus dem Mittleren Osten, die „Standard“ europäischen Juden „Ashkenazi“ , nordafrikanische, ein Haufen Russen, die so jüdisch daherkommen wie Reinhold Messner – und natürlich alles voll mit scheiß Reisenden. Wer sich als Deutscher bemüht, sich die Hitlerwitze zu stecken, bekommt die von den Einheimischen um die Ohren gehauen. Wer sich entschuldigt Deutscher zu sein, bekommt ein „get over it“. Besser wird man verstanden, wenn man erklärt, dass man sich nicht für den Holocaust, sondern für die idiotischen deutschen Touris entschuldigt. Die stehen schon wieder in der Ecke und verbreiten Verklemmung.
Jerusalem ist nur eine Stunde Fahrt weg, und die Busse sind in Israel Spitze. Die plattigen Metastasen Tel Avivs enden an den Bergen. Erstaunlich grün: Israel bemüht sich um Aufforstung. Neben Zedern auch mit Eukalyptus, ein Glück. Je steiler und karger die Hügel werden, desto wichtiger scheint es Leuten zu sein, da zu siedeln. Häuser thronen über leeren Flussbetten. Als die Gegend dann völlig nutzlos erscheint, beginnt Jerusalem. Der Supervollprofi kommt samstags gegen 4 an. Da ist Sabbat, und ab Sonnenuntergang geht gar nichts mehr. Folglich hat man viel Zeit, die Stadt zu sehen, da man keine Straßenbahn nehmen kann. Helle Natursteinbauten stehen da in der Gegend rum und fügen sich nicht zusammen. Es ist gespenstisch leer. Nur ein paar Orthodoxe rennen herum. Und ja, sie müssen rennen, denn erstens wollen sie rechtzeitig zum Sabbatessen zu Hause sein. Und zweitens rennen sie in Israel immer. In der Tora gibt es eine Passage.
Logisch, dass man das wörtlich nehmen muss. Doch wenig zeigt, ach, wir sind doch unter Zeitlesern, exemplifiziert den – diametralen – Unterschied zwischen Arabern und Juden so gut. Araber haben einst aus Jahrtausenden in der Wüste abhängen gelernt: chill doch mal. Israelis waren zu lange in Europa.
Das billigste Hostel liegt dann auch genau auf der arabischen Seite, am Damaskustor, so was wie dem Kotti Jerusalems. Das ist nicht berlinbesoffen, sondern berlinparanoid. Jerusalem ist noch immer eine geteilte Stadt. Zwar ohne Mauer, aber besonders am Sabbat fällt es auf. Auf der arabischen Seite ist freitags Ruhetag, samstags fährt hier alles umher. Selbst israelische Busunternehmen, aber nur mit arabischen Fahrern. Religion schön und gut, aber Geschäft geht vor.
Das Palm Hostel besticht durch seine Lage direkt vor der Altstadt. Das war's dann auch. Ob quengelnde Kommentare auf Hostelwebsites oder von anderen Reisenden, keiner bekommt da Freudenpickel. Zu Unrecht. Kommt man mit der schluderig-wunderlichen Art der Crew klar, ist es super. Die Hochbetten sind von 1950, aber es gibt haufenweise Bäder, eine Terrasse und, was am wichtigsten ist: ein abartig gemütliches Wohnzimmer mit Beduinenkissenbänken. Größtes Manko: Seife scheint gegen deren Religion zu sein.
Die Altstadt ist atemberaubend. Selbst für Harmonie- und Pathetikresistente. Vor dem Tor martern Turnschuhe in allen Farben einem die Augen, drinnen ist es 50 n. Chr. Kleine Gänge führen an den unerwartetsten Stellen hoch und runter. Die halbe Stadt ist ein einziger Basar, oft sieht man den Himmel vor sich empormurkelnden Häusern nicht. Der übliche Laden ist einen Meter breit und 10 m tief. Neben Süßigkeitenverschlägen und glänzendem Souvenirschrott hämmern Schuhmacher(-Kinder) und backen Bäcker(-Kinder). Bei allem Tourischeiß – hier leben und arbeiten Menschen. So lange wie sonst kaum wo, und das merkt man. Selbst Vielgereiste müssen erst mal ein paar Tage verloren gehen, um sich auf die Stadt einzulassen. Muezzine schreien, es riecht nach Weihrauch und Lamm, Mönche wie aus dem tiefsten Mittelalter lassen sich von Hippiemusikanten mal was über ihr Shakra erzählen. Selten hört man selbst im ultramultiethischen Israel so viele verschiedenen Sprachen, eine absurder als die andere. Am schärfsten ist jiddisch, mittelaltersüddeutsch. Hört man auf der Bettlerstraße von Jüdischen Viertel gerne, und als Deutscher hat man natürlich überhaupt keine moralische Verpflichtung, was zu geben.
Ist man halbwegs klar gekommen, schälen sich vier Unterteilungen raus: Am Damaskustor beginnt das arabische Viertel. Es ist der Markt und das Dreckloch. Es geht bis in die Mitte der Stadt vor, wo die Gassen immer skurriler werden. Ganz in der Mitte wölben sich hohe, maximal keimige Decken, in den Seitengängen ist man sofort in der Goblinunterwelt. Westlich liegt das christliche Viertel. Das ist aufgeräumter und ruhiger. Aber auch da gibt es Märkte mit Religionskitsch, der die Plastikgoldtafeln der Moslems noch nüchtern aussehen lässt. Jesus hätte gekotzt. Ein Teil davon ist das armenische Viertel. Wieso hat ein so gnadenlos missachtetes und von der Türkei weggenozidiertes Land hier eine eigene Hood? Weil es als Erstes das Christentum anerkannt hat. Der Erste unter den Mitläufern. Südlich liegt das jüdische Viertel. Das ist neuer, bietet mehr Platz, aber auch Bunkerartiger. Natürlich weil die Juden so einen schlechten Geschmack haben und nicht weil es im Unabhängigkeitskrieg 1948 platt gemacht wurde. Hier rennen die hassidischen Kinder mit ihren Locken rum, für die sie sicher überall sonst zusammengeschlagen werden würden. Es hat aber auch was seltsam 1994-ostiges, Glatze und Locken. Fehlt nur noch der pinke Gelabsatz vorne. Trotzdem sehen sie ernst und erwachsen aus – und natürlich völlig surreal. Das Wohl Torazentrum überragt alles und ist ohne Zweifel ein schlecht versteckter Bunker.
Man hört es am Sabbat schon überall über die Dächer warbern: Die Leute regen sich auf. Singen, schreien, lachen, bekommen Starrkrämpfe. Man läuft dem Gemurmel nach, tritt aus der Altstadt – und wallah Optik erschlägt einen. Eine riesige Senke liegt zwischen wie Burgzinnen stehenden Häusern. Gegenüber thronen die Al-Aksa Moschee und der Felsendom auf dem Tempelberg, seine Seite ist die Klagemauer. Vor der spasten orthodoxe Juden ab, als ginge es um ewiges Leben oder Tod. Sabbats haben sie nicht nur die normalen abnormalen 19. Jahrhundert Breitkrempenhüte auf. Jerusalem ist schließlich die Stadt der bescheuerten Hüte. Nein, Gott will, dass man sich am Sabbat Tortenkästen aufsetzt. Seine Wege sind unergründlich schmackhaft. Direkt vor der Mauer stehen die alten Mosesimitatoren mit langen Bärten und wippen stehend, Orthodoxpogo. Dahinter die anderen Orthodoxen, betend, singend oder palavernd. Einer hängt in Sportjacke ab und wird nicht mal mehr totgeschlagen. Hinter einem Antitourizaun der ganze light religiöse Rest, viele mit Kippa. Dazwischen Kreise von jungen Leuten, die richtig Party machen. Deren Tanz sieht dem, was die Türken machen, sehr ähnlich. Sagt man ihnen aber besser nicht, hat ja jeder seine GANZ eigene Kultur. Ab und zu werfen sie wen hoch oder rennen ab in die Altstadt. Es ist erstaunlich, wie locker es im jüdischen Allerheiligsten abgeht. Kinder krabbeln rum, Leute essen Nüsse, viele brezeln sich auf wie in der Dizze. Besonders die Frauen. Wenn zu viele von denen um einen rum sind, ist man wahrscheinlich in der Frauensektion an der Klagemauer. Sollte man vermeiden, wenn man nicht als der totale Vollidiot rüberkommen will, der man eben ist. Die Typen sind teilweise auch im New York Geschäftsjudenlook: schneidigere Anzüge, eckige Brillen, sehr geschäftig. Rennen passt auch gut in deren Konzept. Das Ganze ist so gegen 8 schnell wieder vorbei, und alle strömen zurück zum Damaskustor. Die Araber nehmen die rennenden Relikte aus dem 19./10. v. Chr. Jahrhundert kaum mehr wahr. Was sollen sie auch tun, an jeder Ecke stehen gelangweilte, aber schwer bewaffnete Maschinengewehrteenies.
Einen Teil der Altstadt sehen die wenigsten. Im Norden liegt ein zwischen Stadtmauer und Tempelberg eingezwängter Teil des Araberviertels. Er ist das Armenloch. Die Wände sind überall voll mit Graffiti in Grün, Rot, Schwarz, Weiß: den Farben Palästinas. Beliebte Motive sind der Felsendom und die Kaaba, gerne aber auch der ein oder andere Schwanz und Hakenkreuze. Schön, wenn die Menschen überall was gemeinsam haben. Wobei Letzteres hier natürlich mehr Sprengkraft hat. Wo es richtig miefig und müllig wird, wehen Hamasfahnen. Gangs ohne Gangsterpose stehen rum, haufenweise Kinder rennen umher. Man kommt sich vor wie in der 50ern: Die spielen Murmeln. Manche begrüßen einen enthusiastisch, manche schreien einen aggressiv mit Koranquatsch voll, die ganz herzigen werfen kleine Steine. Auf jeden Fall fassen sie einen an. Nicht, weil man so klasse ist, sondern weil da. In den arabischen Stadtteilen läuft man völlig planlos aufeinander zu und weicht erst kurz vor dem Zusammenstoß aus. Verläuft man sich, und das wird man, steht man schnell im Wohnzimmer der Leute. Privat und öffentlich üben wir noch mal. Oder auf einer wilden Müllkippe in bester Altstadtlage in dieser extrem teuren Stadt. Wäre der Stadtteil nicht im toten Winkel der Altstadt, würden Israelis hier bauen. Vom Rundgang auf der Stadtmauer sieht man ihre Akquisitionen in den Arabervierteln: Hoch wehen die Fahnen. Die, die in den Barisraelis als Faschisten bezeichnet werden, sind wie norddeutsches Hundebier: keine Kompromisse.
Einen guten Überblick über die Stadt bekommt man im Österreichischen Hospiz. Das ist schon deshalb sehenswert, weil der Kontrast Multibaraberstressmoloch/19. Jahrhundert Monarchiestandbildkaffeahausästhetik der Hammer ist. Was man nicht weiß: Jedes Haus steht auf 30 m Ruinen. Das sieht man auf der (echt günstigen) Führung durch den Klagemauertunnel. Sie zeigt einem die Tempelmauer unter der Erde. Die ist noch originaler, hier beten dann auch die absoluten VIP-Nonnen. Durch enge aber 10 m hohe Aquäduktgänge geht es bis zu jahrtausendealten Wasserreservoirs, lohnt sich, wenn man seine Klaustrophobie ignorieren kann.
Der eigentliche Renner der Altstadt sind aber die Verrückten. Vor dem Hospiz verläuft die Via Dolorosa, der Leidensweg Jesu. Da tragen dann polnische Reisegruppen Kreuze lang und singen deprimierende Lieder. Ab und zu donnert einer der von 15-Jährigen gefahrenen Traktoren mit Schmackes vorbei, dann müssen sie sich an die Wand drängen. Das Wichtigste vergessen sie völlig: Nicht nur Jesus, Monthy Phython war hier! Vor dem Hospiz gehen gerne Möchtegernmullahs hausieren. Sie sehen aus wie jahrelang gezielt ungepflegt und bieten einem den Koran an wie sauer Bier. Menschlicher Spam. Mit denen braucht man nicht zu diskutieren, die haben ihr Hirn am Eingang abgegeben. Interessant ist aber, dass die Gewehrkiddies wieder nur gelangweilt glotzen. Man kann dem israelischen Staat sehr, SEHR viel vorwerfen, aber an religiöser Toleranz mangelt es nicht. Gar nicht so übel, wenn man bedenkt, dass alle Nachbarn bestenfalls diktatorische, schlechtestenfalls klerikalfaschistische Regime sind.
Die Polen haben ein paar sonnenverbrannte Russen aufgegabelt und pilgern zum christlichen Heiligtum, der Grabeskirche. Da soll Jesus wiederauferstanden sein, oder gestorben, oder seine Steuererklärung gemacht haben. Das Ding ist die reinste Geisterbahn. Völlig verschachtelt, und in jeder Ecke grapschen verheulte Erfürchtler Steine oder Statuen an. Ein Glück hält sich Scheiße keine 2000 Jahre, sonst sähe es hier aus wie im rumänischen Behindertenheim. Der Hauptsaal imitiert Mordor passabel. In der Mitte steht eine kleine Holzkathedrale. Es muss immer noch heiliger werden, ja nie um Ende kommen. Da wäre sonst ja: nichts. An ihr drängen sich Rentner weg wie Groupies beim Justin Bieber Konzert. Muss nicht sein, und durch ein Loch an der Seite sieht man auch was. Das wird einem noch mal passieren. Das kommt wohl vom Katholentum: Man kommt immer drumherum, mal eben beichten, und ein Leben voller Sauerei ist vergessen. Das einzig Gute an dem Laden: Kerzen sind umsonst. Wo sonst ist die Kirche so freigebig mit ihren Milliarden, die sie unter anderem zwangsweise von deutschen Steuern abzweigt? Am Ausgang wartet noch ein Grab, das alle angrabbeln wollen. Wird man heilig von. Breitköpfige Osteuropäerinnen setzen sich, packen Devotionalramsch aus, und wischen ihn über das Grab wie einen alten Putzlappen übers Klo. Jesus. Wie im Vatikan, Heiligkeit ist ein Job wie jeder andere. Armenisch klingt wie Kotzen rückwärts.
In das Heiligste der Moslems kommt man nicht rein, ausnahmsweise ist es nicht verschleiert, sondern verbaut. Der Felsendom ist tabu, aber aufs Dach des Tempelbergs kann man, wenn man so blöde ist und sich stundenlang anstellt. Da lieber noch mal durch die Altstadt und die Touris ansehen, wie sie beim Pikatjew T-Shirt kaufen abgezogen werden. Bei Dunkelheit klappen die Ladentüren sofort zu und es ist totenstill. Katzen klauen, was sie kriegen können, und verschwinden über die Dächer. Unfassbar, wie schnell und spurlos sich das Chaos geordnet zurückzieht.
Hinter der Altstadt zieht sich ein langer Friedhof den Ölberg rauf. Relativ trostlos die Grabsteine hier, nichts als Steine. Aber man kapiert immerhin, was die Erbauer des Holocaustmahnmals im Sinn hatten, bevor ihr Konzept zum größten Pissoir der Stadt verkam. Oben soll Jesus geheult haben, jetzt steht da ein grauenhaftes 60er-futuristisches Hotel. Was will der Herr uns damit sagen? Zwischen Ölberg und Altstadt liegen die ältesten Ruinen der Gegend, die Davidstadt. Am Hang daneben gehen die ohne Augenzwinkern in einen Slum über. Was vorher noch Eintritt kostet, gibt es hier kostenlos, inklusive Müll und Ziegen. Enge Treppen führen nach Silwan hinauf. Wieder die quadrochrome Palästinenserstreetart. Es ist Elend, aber mit Aussicht. Es fühlt sich gefährlich an, ist es aber nicht. Dafür erfrischend echt. Mittendrin ein israelisches Haus, für die ist es vielleicht gefährlich. Die Fenster sind vergittert, Farbbombenspritzer verzieren die Fassade. Über dem nächsten Berghang läuft die Stadt auch schon unmotiviert aus. Autowerkstätten werden zu Müllkippen. In der Ferne sieht man die Mauer zwischen Israel und Palästina. Der Müll zeigt einem, wo welche Seite ist. Man sieht sie auch vom Ölberg aus, aber, Vorsicht, Anspielung, keiner sieht in ihre Richtung.
Das Kontrastprogramm ist Mea Sharim. Im Hood der orthodoxen Juden grüßt einen ein großes Schild: „Please do not pass through our neighbourhood in immodest clothes“. Ganz was anderes als in den arabischen Vierteln, echt. Die können sich keine Schilder leisten – oder dürfen sich nicht aufstellen, zumindest in Ostjerusalem. Das Einzige, was vor palästinensischen Sektoreinfahrten grüßt, ist weiß auf eindringlich rot: „This road leads to Area “A” under the Palestinian Authority. Entry for Israeli citizens is forbidden, life-threatening, and against Israeli law.“ Bloß nicht den Nachbarn kennenlernen, könnte ja noch Frieden aufkommen. Dachten sich die Palästinenser auch und stellten ein anderes Schild auf: „Civilian zone: No entry to [sic] the army! This road leads to palestinian settlements. Israeli civilians do not be afraid! Come and visit palestinian settlements – refuse to be enemies!.“
Der Unterschied zwischen den jüdischen und arabischen Stadtteilen ist offensichtlich. Im jüdischen Teil ist es sauber bis öde. Man macht sein Ding und lässt den anderen in Ruhe. Nach dem noch so gut gemeinten 1000sten „Welcome“ in der Westbank ist das Goldzahnersatz wert. Die Leute sich barsch, aber durchaus freundlich. Kein Vergleich zu gewissen mitteleuropäischen Drecklöchern. Auf der arabischen Seite dröhnen Minibusse, alles ist voller kleiner Geschäfte. Abends kommen die Grillstände aus den Ecken und präsentieren totes Tier. Die Leute stehen oft zusammen, als ob die Wirtschaft sich schon selbst erledigen würde. Man wird öfter angesprochen, aber in Jerusalem laufen so viele Touris rum, dass es selbst gegen die Türkei locker ist. Schreien muss aber drin sein, gerne aus 30 cm Entfernung. Ab und zu kochen die Emotionen hoch und es gibt eine Schlägerei. Dann kommen alle zusammen und profilieren ihren Sozialstatus aneinander. Meistens sind die Leute aber abgefahren freundlich-entspannt und dabei immer ein wenig faserig.
Zwischen allem summt die neue Straßenbahn, die die Stadt vorm Verkehrsinfarkt rettet. Kontrolleure gibt’s auch, und die setzen einen gnadenlos fest. Kann einem aber wurscht sein, solange Israel keine 2. Weltkriegsretour für die Kosteneintreibung plant. Ob man dann auch mit Zahngold zahlen könnte? Die Bahn führt in die South Side Shuafat, einen palästinensischen Slum. Nicht so mit Wellblechhütten, der hier hatte 50 Jahre Zeit, sich in Beton zu gießen. Und das taten sie, besonders in die Höhe. Mitten durch die Siedlung läuft der gruselige Tunnel: eine voll umbaute Passage durch den Häuserwust. Klar haben die Leute hier Wut mit extra scharf im Bauch. Trotzdem wollen die meisten Frieden – und Geld. Die Mehrheit der Ostjerusalemer ist mit der Quasiannektion ihrer Stadthälfte einverstanden.
Bevor man weiter zieht, sollte man auf jeden Fall noch das Bardreieck zweimal rechts besoffen aus der Cassette Bar besuchen. Selbst wer sein letztes Reisegeld versäuft, wird hier sicherlich Leute finden, bei denen er abstürzen kann. Bestenfalls greift man einen der legendären Wüstenraves ab. Da geht’s echt drunter und drüber, Israel hat nicht umsonst eine der noch 2 verbliebenen Ketaminfabriken der Welt. Beginnen aber auf jeden Fall in der Cassette-Bar, Horkenous Straße 1. Die hat eine Happy hour, da kann man sich sogar, Freude, tschechisches Bier leisten. Es läuft der israelische Falco, Zohar argov, dreifach ironisch. Sie ist zwar nur 15 qm groß, hat aber einen Durchgang zur Record-Bar. CD ist auch um die Ecke, ohne Scheiß. Wer richtig Glück hat, bekommt ein Konzert um die Ecke mit feinstem Dröhnindustrial. Der israelische Iggy Pop wälzt sich da schreiend auf dem Boden, während Typen auf selbstgebastelten E-Bässen und Schlagzeugen rumdreschen, dass selbst Blixar Freudenzuckungen bekommen würde.
Da Jerusalem wie ein fetter Tumor mitten im Land sitzt, kann man das halbe Land in Tagestouren abfahren. Zum Beispiel Bethlehem. Klingt nach großer Geschichte, ist aber auch banal Vorstädtchen. Da war auch wieder mal Jesus, aber viel wichtiger, der Jesus des Popantikapitalismus: Banksy. Mauern eignen sich eben gut für Graffiti. Sobald man auf der palästinensischen Seite aus dem Bus fällt, wollen einem x Anwerber die 500 Laufmeter dahin verkaufen. Kann man sich getrost sparen, ohne Gelaber kann man das eh besser aufnehmen. Das Tor ist angekokelt und beschmiert. Links geht es durch ein Verständnisrumheulzentrum, uninteressant. Dann über einen Friedhof direkt an der Mauer, schon geiler. Scharfschützen auf den Wachposten sehen zu, während man über den Zaum auf die Straße an der Mauer klettert. Hand ranlegen, nichts. Raufklettern, nichts. Rüberspringen: noch am Leben sein. Guter Tag. Ein Flüchtlingslager drängt sich an die Mauer, die Kinder wollen nur dein Bestes: „Money!“ Jetzt werden die Graffitis riesig. Vorher waren es nur kluge Sprüche à la: „Eine Nation ist nicht nur, was sie tut, sondern was sie toleriert – Kurt Tucholsky.“ Gigantische Trompete spielende Dickies hacken sich die Beine ab, und Monster vom israelischen Banksy Hope machen Gesten, die einem was sagen sollen. Aber egal, was Monster machen, es ist immer einfach nur unheimlich. Vorbehaltlich Krümelmonster. Noch weiter oben ranzen zerschossene Fabrikhallen vor sich hin. Die Mauer wird zur Müllkippe. Tote Ziegen verwesen in der prallen Sonne. Sicher eine Skulptur. So riecht Ungerechtigkeit, 30000 € Startgebot. Ganz am Ende scheuchen Pferde aus Olivenhainen auf und Hühner gackern. Das ist eh so ein Ding: Selbst mitten in den Städten gackert es immer von irgendwo. Dieser Landstrich hat mehr Hühner als Menschen, und das ohne niedersächsische Hühner-KZs.
Banksy hat sich in der Stadt hinterlassen. Erstaunlich oft an Souvenirläden. Komischer Zufall, bestimmt nicht von findigen Palästinensern nachgemacht. So grotesk es ist: Die Mauer beschert Bethlehem Einkommen. Das ist doch mal Kapitalismus at its best: Leid als Standortfaktor.
Der Rest von Bethlehem ist nett, aber nichts Besonderes. Quirliges arabisches Zentrum, Tourizone, wo man gnadenlos abgezockt wird, Kirche, wo Jesus auferstanden ist. Übersetzt heißt sie Kirche der Naivität. Endlich sagt's mal wer. Und der machte gleich weiter: Man betritt sie durch die „Door of humility“. Drinnen singen aramäische Mönche, und das Christentum sieht noch wie die Sekte aus, die es ist. Kann man wieder in Nebenhöhleneingang durch ein Loch spicken, wo andere stundenlang anstehen. Ein kleiner Gnom führt einen hin und gibt einem Küsschen. Nicht schwul, orthodox christlich. Was ganz anderes, das ist schließlich Putins Religion. Atemberaubend ist wie immer die Aussicht, aber das gilt für die ganze Gegend. Muss ja irgendeinen realen Vorteil haben. Wer wieder raus will, muss den Bus kennen. Besonders die jüngeren Palästinenser haben keine Ahnung, selbst wenn die Stadtviertel genau hinter der Mauer sind. Könnte genausogut Wladiwostok sein. Im Bus ist es allerdings unproblematisch, am Checkpoint werden nur palästinensische Männer von schlonzigen Soldaten schikaniert. Für das echte Kriegsgefühl, oder wenn der Bus nach Dunkelheit nicht mehr fährt, passiert man durch den Mauercheckpoint in Bethlehem. Lange läuft man durch gespenstische Gittergänge. Über einem die Schutzsoldaten in fiesen Türmen. Ein paar Mal wird der Pass angeglotzt und desinteressiert gefragt, wo man hin will. Die sind so angekotzt, weil jeder von ihnen Jahre seines Lebens bei diesem Affentanz mitspielen muss. Auch Israelis bekommen von der Mauer ihr Fett weg. Dann ist man draußen in der dunklen Pampa, und nur die 2 letzten Menschen, die man braucht, sind da: ein Soldat und ein Taxifahrer. Ersterer sagt, man soll das Taxi nehmen, Letzterer, dass das doppelt so viel kostet wie in Deutschland. Wer sich noch ein paar Lügen abholen will, kann ihn nach Bussen, Bushaltestellen, Laufwegen und dem Sinn des Lebens des Brian fragen. Taxifahrer in der Restwelt sind das Letzte, verdienen ihr Geld so direkt mit Lügen wie kaum ein anderer im Kapitalismus. Da hilft nur: den Wichser stehen lassen und nach rechts loslaufen. Bevor der Arsch auch nur einen Shekel bekommt, läuft man lieber durchs Minenfeld. Nach 500 m erreicht man die Bushalte.
Wer einen Gang hochschalten will, besucht Hebron. Das ist ein, zwei Stündchen weiter südlich, je nachdem, ob man die arabischen Terrorgammeltaxis oder die israelischen Busse nimmt. Hebron liegt mitten im Westjordanland und hat zusammen mit Dschenin das Image der Partystadt für Krawall. Sieht auf den ersten Blick nicht so aus, die Hauptstraße quillt über vor Geschäftigkeit. Trashkapitalismus, von Treppengeländern über Schuhe bis zu ATMs ist alles Plastik und schmalbrüstg. Die Leute sind extrem freundlich bis aufdringlich. Typen fangen einen ab und versuchen einem Touren aufzuquatschen. Da der halbe Gewinn an palästinensische humanitäre Organisationen gehen soll, kann man das schon mal machen. Am besten, man einigt sich so auf ein Fünftel von dem, was er vorschlägt, dann verschwindet er, bevor es zu nervig wird. Die „Hauptattraktion“ ist gleich um die Ecke: Die tote Straße. Fette Betonquader versperren Autos den Weg, auf ihnen steht gestencilt „Stop Apartheid“ und „Fight Ghost Town“. 50 m dahinter ist ein Checkpoint.
Der Typ ranzt die Soldaten an, er macht das nicht zum ersten Mal. Zu Ausländern sagt er nur: „Be carful, its dangerous here“. Dann Niemalsland: Was früher Marktzentrum war, ist heute totenstill. Alle Läden und fast alle Bewohner sind geräumt. Markisen lehnen sich zum Boden, durch tote Fenster starrt man in Ruinen. Die Wäsche der früheren Bewohner hängt zerfetzt an den Leinen. Der Vater des Typen hatte hier seinen Laden. Mit dem Aufbau der Demarkationszone verlor er alles und bekam als Kompensation einen Arschtritt. Natürlich waren die Israelis schuld. Die wiederum berufen sich auf ein Massaker 1929. Damals musste die jüdische Bevölkerung fliehen. Palästinenser bringen dann gerne den Typen hier an:
„Am 25. Februar 1994 betrat Goldstein um 5 Uhr in seiner Uniform mit einem Galil-Sturmgewehr und vier gefüllten Magazinen in Hebron die muslimische Seite der „Höhle Machpela“, der Grabstätte von Abraham, Isaak und Jakob. Es fand gerade das Morgengebet im Ramadan statt, die Juden feierten an diesem Tag Purim. Er eröffnete von hinten das Feuer auf die betenden muslimischen Palästinenser. Er tötete dabei 29 Menschen und verletzte mindestens 150; unter den Opfern befanden sich zahlreiche Kinder. Nachdem seine Munition aufgebraucht war, wurde Goldstein von Überlebenden des Massakers überwältigt und mit einem Feuerlöscher erschlagen. Nach der Tat kam es zu mehrtägigen Ausschreitungen, bei denen weitere 19 Palästinenser und 5 Israelis ums Leben kamen.“ - Wikipedia
Gab übrigens noch eine lustige Fortsetzung, sagen die Araber dann:
„Die Inschrift auf seinem von seinen Verehrern in Hebron errichteten Denkmal lautete: „Hier ruht der Heilige Dr. Baruch Kappel Goldstein, gesegnet sei das Andenken dieses aufrichtigen und heiligen Mannes, möge der Herr sein Blut rächen, der seine Seele den Juden, der jüdischen Religion und dem jüdischen Land geweiht hat. Seine Hände sind unschuldig und sein Herz ist rein. Er wurde als Märtyrer Gottes am 14. Adar, Purim, im Jahre 5754 (1994) getötet.“ 1998 brachte der israelische Industrie- und Handelsminister Ran Cohen ein Gesetz gegen dieses "Denkmal" in der Knesset ein, aufgrund dessen es im Dezember 1999 von israelischem Militär zerstört wurde. Kurz darauf feierten Goldstein-Anhänger am 6. Jahrestag der Tat an Goldsteins Grab in Kiryat Arba eine Art Purim-Party in Kostümen wie Armee-Uniformen, Arztkitteln und falschen Bärten.“
auch
Juden erwidern, dass sie zuerst da waren, vor 3000 Jahren oder so. Sicher ist nur: Der andere hat angefangen. Die Schuldfrage ist eh klasse, bringt einen immer weiter. Besonders in Kombination mit Rache. Ist ja nicht so, dass ein getötetes Kind nicht wieder da wäre, sobald der Mörder hingerichtet wurde. Scheiß Egogewichse, das gleiche wie Eifersucht. Da labert der Guide wieder rein. Für Hamas und Fatah ist er gleichzeitig. Er hat kein Problem damit, dass die sich am liebsten gegenseitig massakrieren. Allerdings, wenn er an die Macht käme, inshallah, würde er die Israelis nicht von der Tischkante putzen, sondern gerecht teilen. Bleibt zu hoffen. Natürlich ist das die extrem gekürzt. Er sagt den Text am Tag öfter, als er pissen geht. Jeder zweite Satz ist Propaganda und Mitleidheische. Kann man verstehen, denen geht’s auch kacke. Trotzdem wirkt er erstaunlich gelöst und fröhlich, wenn man ihn noch mal antrifft. Ist das nun die Kunst, trotz Unterdrückung fröhlich zu sein?
Durch den nächsten Checkpoint darf man nur allein. Mitten in der Stadt harrt eine weiß getünchte jüdische Siedlerkolonie aus. Isoliert von der Todeszone, bekommen sie nie einen Araber zu Gesicht. Grotesker wird’s nur noch in besagter Synagoge. Die ist nämlich zur Hälfte Moschee. Eine verrammelte Tür trennt Teppich von Steinboden, altersgezeichnet von blitzblank und jüdisch von moslemisch. Auf beiden Seiten kommt man sich fehl am Platz vor.
Links von der Abraham Moscheesynagoge ist die Altstadt. Auf israelischer Seite verbunkert, auf arabischer Seite verzweifelt. Die Händler hängen sich an jeden, das Pflaster ist zu heiß für normale Touris. Opis, die für 20 ct Karottensaft verkaufen, tun einem fast schon leid. Dass man sich vom Laberer bis auf den letzten Shekel abziehen ließ, wird noch mehr Nachteile haben. Auf dem Markt ist die Shoppingstimmung eh so medium. Von oben sehen die Soldatenposten herab, man fühlt das Fadenkreuz förmlich im Nacken. Später am Tag wird es Krawalle geben (= steinewerfende Kinder und Jugendliche). Wieso, sieht man rechts von der Kathedrale. Da hausen Araber in jahrhundertealten Aladdinbauten. Der Müll ergießt sich die Hänge runter, es riecht nach Plastikfeuer. Wer Glück hat, wird von Palästinensern eingeladen. Die zeigen einem im extrem prunkvollen Goldsofawohnzimmer dann Fotos. Er im weißen Jogginganzug, Gang-Starr. Er im Schnee, das erste Mal überhaupt. Natürlich mit Sonnenbrille. Ein Kind mit Spielzeugkalaschnikow lugt rein und verzieht sich kichernd. Ob man Hebron verlassen kann, entscheidet nur der Gott des Kapitalismus. Die Geldautomaten hassen europäische Karten und geben gerne in beknackten Fremdwährungen wie jordanischen Dinar raus. Nachts ist die Umsteigeodyssee durchs Westjordanland noch beklemmender. Kleine Wachturmburgen mit wehenden Fahnen leuchten mit Scheinwerfern in die Nacht. Siedler stehen an Kreuzungen in der Wüste, bewacht von haufenweise Soldaten. Es geht nicht gut, aber es geht.
Israel hat aber auch Natur. Würde man gar nicht denken, so wie die ihre Landschaft in x Kriegen weggebombt haben. Wandern in der Wüste kann man bequem von Jerusalem aus:
„Can take a Bus in the direction of the Dead Sea. You can check the timetables at Egged.co.il Check timetables by filling in destination ‘Mitspe Yerikho Branching‘. Ask the driver to stop at the branching where a brown road sign to the left says ‘Wadi El Qelt’ or something like that…“
allerdings:
„Attacks on hikers are extremely rare - but there have been cases in the past against foreigners and Israelis alike. You should try and travel in as large a group as possible...On a Friday, there should be other hikers on THIS section and you should be fine.“ – lonelyplanet.com
Hier geht man nicht an bestimmten Tagen, weil die Parkplätze dann nicht weg sind, sondern weil man nicht entführt wird. Spaß klingt anders.
Für Feiglinge bleibt Ein Gedi, ein Nationalpark am Toten Meer. Die Fahrt aus Jerusalem ist schon der Hammer. Erst ist man in einer merkwürdigen Almsteppe. Fast wie Wüste, nur mit Grasresten und den für eine Alm typischen Tierspuren. Zwischen den Dünen hausen Beduinen. Sieht derbe nach Slum aus, aber die sind eben Nomaden. Kein Grund für die israelische Regierung, sie nicht aus der Negev mit Knüppeln und Wasserwerfern zu vertreiben, um sie am Wesen der Sesshaftigkeit genesen zu lassen. Die tun da keinem weh, außer Grundstücksspekulanten, raunt man. Aber was sind schon ein paar 1000 Jahre (minderwertige) Kultur gegen die Aussicht auf einen Gewerbepark?
Schnell ist man in der Wüste, Sand und so. Einmal mit allem, Ziegen, Karawane, Oase mit Palmen. Plötzlich bricht auch die weg und man gelangt in die Senke des Toten Meeres. Es ist diesig, aber trocken. Das ein oder andere Kibbuz und traurige Ölpalmenplantagen fristen ihr Dasein an den schroffen Felswänden. Das Tote Meer ist atemberaubend schön, sein Ufer geht so. Es ist schwarz. Wo das Wasser sich zurückzog, taten sich Löcher auf. Machen die gerne auch spontan. Wenn man also nicht von den Grenzsoldaten erschossen wird, hat man da gute Chancen.
Ein Gedi ist ein Wadi, ein Bach im Tal. Ganz hübsch, kann aber ein wenig voll werden. Wasserfälle, Schilf, kann man nicht meckern. Lustige Tropenvögel, die einen wie Araber anschreien. Die wahre Attraktion sind aber die Klippenschliefer. Die nur optisch mit Murmeltier verwandten Tiere sind so unglaublich niedlich, dass man vom Glauben abfällt. Die quieken einen auch gerne an, noch lieber liegen sie aber breitbeinig auf dem Bauch auf dem Boden. Oder sie rennen. Dazwischen gibt’s nichts. Wie Juden und Araber in einem Lebewesen. Weit oben kann man durch die karge Steinwüste kraxeln und das Tote Meer überblicken. Hat auf jeden Fall die passende Schüssel.
Gegenüber von Ein Gedi kann man ins Meer. Planschen sollte man allerdings nicht. Das Wasser in die Augen zu bekommen ist de luxe schmerzhaft, es zu verschlucken kann tödlich sein. Willkommen auf der Bromparty. Jeder Kratzer schmerzt wie eine Fehlgeburt. Ansonsten ist es aber lustig. Fühlt sich an wie mit Schwimmflügeln überall im Körper. Und die Salzkruste am Rand kann super für ein antikapitalistisches Souvenir herhalten.
Was also aus diesem kleinen Haufen Terror machen? Erst einmal mehr menschliches als Politik, Das ist überall wo man hinreist so, aber hier erschlägt es einen. Die Leute sind sich auf beiden Seiten der Westjordanland- oder Klagemauer verdammt ähnlich. Ich meine, die beten das gleiche Haus an, nur an anderen Seiten. Gäbe es Gott, würde er sich ernsthaft über solche Kleinigkeiten einen abbrechen? Oder ob der Schawarma nun halal oder koscher ist? Gut, Religion ist eh was für Idioten, die eine beschwichtigende schizophrene Persönlichkeit brauchen. Aber selbst der Machtelitenkampf reicht schon, um dem Ganzen eine Absage zu erteilen. Die Leute werden nach Religion und Staat geteilt, die wirklichen Probleme bleiben auf der Strecke. 2011 setzten die Israelis zum ersten Mal um, was vielen schon lange klar ist: nicht die Palästinenser sind der Feind, sondern der militante Kapitalismus neoliberaler Ausprägung. Es ist scheißegal, wo du herkommst, in Jerusalem und Tel Aviv kostet die letzte Bruchbude ein Vermögen. Wieso wohnen denn die Siedler in Palästina? Weil die Bock haben, palästinensische Schulkinder mit Steinen zu beschmeißen? Das ist nur eine verachtenswerte Minderheit, die meisten wohnen da, weil es das Alaska Israels ist. Denen werden das Haus und der Job unter den Arsch subventioniert, dass es kracht. Selbst den mental außerirdischen Orthodoxen kann man es nicht ankreiden, wenn die am Rad drehen. Die wurden in den 50ern auch mit Knete geködert, orthodox gegen Einkommen. Heute haben sie zu viele Kinder und können nicht viel anderes als beten. Klar kommt da Angst auf. Schon Kinder bekommen Feinschaft beigebracht, was soll da rauskommen? Dass die jetzt auch zum Militär müssen, macht es nicht besser, ist aber insofern lustig, als dass sie mal die Rechnung für ihre Hasspolitik bekommen. Und ja, der israelische Staat fürchtet sich vor der Zweistaatenlösung. Partner auf Augenhöhe, wo kämen wir denn da hin? Womöglich noch die illegal durch die Mauer abgeknapsten Gebiete und Siedlungen zurückgeben? Was hätte das Militär denn dann noch zu tun, so als Standortfaktor? Die logische Konsequenz der Einstaatenlösung geht auch nicht klar, weil die Araber werfen wie blöde. Nicht nur die, das ist ziemlich blöde, jedenfalls wenn man kein Armuts-Abo will. Deren Schulen sehen aber auch aus wie Kanalisation, woher sollen sie es besser wissen? Jedenfalls würden sie in einer einstaatlichen Demokratie schnell das Sagen haben. Und Demokratie muss zuallererst marktkonform sein, der größte Markt ist das Militär. Arschkarte. Das will keinen offenen Krieg, aber schwelenden Konflikt à la Gaza. Die Intifada war aber zu viel. Fragt man Israelis nach der Mauer, sagen die: Klar ist die ungerecht, aber wenn 2 Typen (über 5 Jahren) mit Kalaschnikows durch deinen Block laufen und alle abknallen, ist das auch eher geht so. Bei allem Hin- und Hermoralisieren: Annäherung hilft. Gemeinsame Schulen und (nicht-)Arbeitsplätze wären ein Anfang.
Vor 1925 geborene Deutsche haben in Israel Visumspflicht. Da ist ein Trauma, das muss man ernst nehmen. Deutschland ist noch immer in der Pflicht, vor Israel nicht klugzuscheißen. Selbst wenn es nicht bis heute das widerliche Nazidreckloch wäre, das es ist. Trotzdem ist die Kategorie falsch: Solange Kapitalinteressen den Konflikt schüren, kann ihn auch noch so viel Verständigungsblabla nicht lösen.