FRÜHLINGSAKTION!!! 20% Auf alles außer Tiernahrung! - plärrt es aus dem Lautsprecher des Benz Cabrio. Als würden sich sonst alle wie besinnungslos auf die schleimigen Fleischklumpen stürzen. Frühling, das heißt für die Unterschicht Angebot. Kostenlose Sonne, verbilligte Klostöpsel, Prozente auf alles – außer Tiernahrung und Würde. Die Hermannstraße ist so voll, dass nur ein ISIS-Konvoi diesen rollenden Bürgerkrieg disziplinieren könnte. Einem lebensmüdem Radler fallen Blumensamen runter, ein Türke hebt sie auf: Gib ihnen meinen Namen – Mustfa!
Der Frühling lässt schon erahnen wie scheiße der Sommer in Berlin wird: heiß, stickig, alle drehen end am Rad. Im Winter werden die Passanten wenigstens von ihren Schals geknebelt, oder sperren sich ich ihren Beamern weg. Aber es gibt einen Ort, da ist der Frühling fast erträglich. Hinter einer unscheinbaren Mauer an der Straße ist ein Friedhof gestorben. Nach 20, 30 Jahren, wenn der Verstorbene langsam von schade zu scheißegal verwest, verscherbeln die Kirchen die Gräber neu. Gott hätte das sicher so gewollt, der ist mit den Reichen. Das sind die Neuköllner eher selten, und daher sind sie nicht mehr mit ihm. Wenn überhaupt sind sie mit Allah, der macht die besseren Angebote: KILLERAKTION!!! 20% jüngere Jungfrauen!
Der Friedhof verkam zu einem Hundeauslauf: Da freut sich der Neuköllner noch im Tod, wenn Fiffi mit seinen eignen Knochen spielt. Die Gräber liegen teilweise noch offen, man muss aufpassen nicht schon mal Probe zu liegen. Jahre von Verwilderung haben ein kleines Stück Urwald geschaffen. Die Eiben und Stiefmütterchen sind ausgerastet und haben sich wild verteilt, riesige Disteln winken mit trippig pinken Blüten. Kleine Pfade verlaufen sich in Wasserfällen von Kletterpflanzen. So schön, so idyllisch, so falsch. Berlin wäre nicht Berlin, wenn eine kleine Oase ungestört vor sich hin existieren könnte. Es gibt ein großes Problem: Die Berliner.
Selbst in den abartig frühesten Morgenstunden trifft man die ersten nervigen Kackbratzen: Hundehalter. Narkoleptische Alkoholiker schliefen ihr angekotzes Fiffi um die Ecke und lassen es Fäkalien verspritzen. Zwangsläufig treffen Sie dabei auf andere Psychotölen und schon geht das Gekläffe los. Leider zerfleischen sich die Viecher in den seltensten Fällen. Meisstens bleibt es bei einem ausgiebigen Angeprolle, an dem der ganze anliegende Block teil haben kann. Und das sind nicht wenige: Die schmale Seite des Friedhofs ist an der Straße, die langen Längsseiten führen direkt an den Hinterhäusern vorbei.
Einige erhöhen den Einsatz: Der in Esotücher gehüllte Vollfreak mit dem Iro führt eine Meute von 7 Kötern an. Entweder er ist Hundesitter, oder einfach drüber. Am Stonehenge aus Baustellenresten trifft er zwangsläufig auf die anderen Assis: Den Spanier mit volltätowiertem Gesicht, der röhrenden dicken Tussi, und noch einer Hand voll minimal alternativer Alkis. Ob Punker, Eso oder Azzlak: Alle haben sich so derbe das Hirn weggeätzt, dass nur noch eine Karikatur von dem, was sie in der Jugend mal cool fanden übrig ist. Statt Kampfgeist regiert Kümmerinstinkt. Keine zwei Minuten und die Tölen kacken sich an, keine zweieinhalb und die Besitzer stimmen einen Hasskanon an. Keine Drei und der erste Assi schreit aus dem Fenster in welches spezielle KZ er sie wünscht, keine vier und man kann den Tag vergessen.
Beschaulicher geht es am letzten aktiven Grab des Friedhofs zu: Hier liegt einer der Köter, der den täglichen Kampf nicht überlebt hat. Das Grablicht wird jeden Abend angezündet. Die verzweifelte und völlig fehlgeleitete Zuneigung der Vergessenen. Manchmal liegen kleine Leckerlis auf dem Stein, wie bei einer abgestochenen Tochter. Die Klaut der Falke sofort, oder das Eichhörnchen. Das steigt auch gerne die Häuserwände rauf und tut morgens auf den Balkonen der verkifften WGs so, als wäre unten alles in Butter.
Jetzt im Frühling schmeißen die Krokusse eine Party: Da wo den Verwandten ihr zugeteilter Leichnam nicht völlig scheißegal war blühen jetzt hunderte kleine Blumen. Fast schön, könnte man meinen, läge da nicht ein Kühlschrank mit einem goldenen Anarchie-A drauf. Selbstverständlich werden die wenigen Zugänge vom Hof als wilde Müllkippen genutzt, ich bitte sie. Sauberkeit und von Schwermetallen unbelasteter Boden ist was für Anfänger. Sofas, Matratzen, Fernseher: Penner richten sich ganze Wohnzimmer an der zugesprayten Wand ein. Alle paar Monate geht der Ramsch in Flammen auf, die Kiezkiddies haben was zu glotzen, und der Kreislauf des Mülls beginnt von neuem.
Neben den Hundebesitzern sind die Penner die Hauptbewohner des Friedhofs. Währen die Herrchen nur dekadente Saisontouristen sind, halten die Penner die Stellung. Im Gebüsch findet man Schaumstoffgedärme der Matratzen, Wurstpackungen und Wodkaflaschen. Elend alter Schule. Zum Ende des Sommerst entstehen ganze Zeltstädte, bevor der barmherzige Bagger der Kirche kommt und alles ordentlich plättet. Die Berufsschüler aus dem gruseligen Kaisereichsbau nebenan können denen ins Schlafzimmer und gleichzeitig in ihre Zukunft sehen. Der Müll hört da aber noch nicht auf. Prospektausträger ist ein Drecksberuf, deswegen kippen die regelmäßig ganze Ballen Werbeschrott auf die Wiesen. Klo kaputt gekackt? Kein Problem, immer ab unter den Apfelbaum. Auto braucht einen neuen Auspuff? Da freut sich die Senke drüber. Nur jetzt im Frühling sieht man das ganze Ausmaß der Katastrophe, wenn weder Schnee noch Blätter die Situation beschönigen. Unter einem toten Baum hat sich Gewerbe eingenistet: Kupferdrähte werden aus ihrer Isolierung gebrannt: Nicht nur Umweltsau, sondern schön destruktiv. Die Kabel und Rohre werden aus den umliegenden Häusern gerissen, wenn mal einer die Tür einen Spalt weit offen lässt. Jemand, der JETZT ganz DRINGEND Shore braucht hat keinen Nerv den 30cm entfernten Hauptwasserhahn abzudrehen, bevor er einen Tsunami im Keller auslöst. Der Park als Naherholungsgebiet steigert die Immobilienpreise der Umgebung?
Zum Glück nicht. Denn Penner sind noch die netteren Zeitgenossen. Die Schlafen gerne mal in den Umliegenden Hausfluren. Morgens stinkt es ein wenig nach groß und klein, aber meist nicht mehr. Liegt eine verräterische Alufolie daneben fehlt gerne eine Glühbirne/ein Treppengeländerstück/ein Fahrrad(-Reifen). Sucht ist eine Bitch, und die treibt sich auf den Friedhof rum. Geistesgegenwärtig haben die Berufsfaschisten von Senat und Polizei seit RTLII sie gefunden hat die „Brennpunkte“ Kottbusser Tor, Hermannplatz und Leopoldplatz „entschärft“. Sprich: die Schwächsten verdrängt. Was bei Wohnungspolitik klappt sollte bei Junkies kein Problem sein. Der Erfolg lässt sich ein, zwei Stationen weiter sehen: Heinrich-Heine-Straße, Turmstraße oder Hermannstraße sind die neuen Anlaufstellen für die Gearschten.
Der Friedhof hat gleich mehrere Vorteile: Er liegt an einer der dorgenservicetechnisch am besten erschlossenen Ubahnlinie – und das nur 50 Meter vom Eingang. Renton aus Trainspotting weiß: Heroin macht Verstopfungen. Wenn es dann knallt zählt jeder Meter. Hinter einer Imbissbude an der schon in den 90ern Koksgrößen ihre fettigen Hamburger abgriffen und einer DHL Paketbox ist es so weit. Die Mäuse flüchten und rennen den Stammkunden über die Füße. Die Junkies beginnen den Kreislauf, den die Hunde als Connaisseur von Fäkalien fortsetzen. Nährstoffe gehen auf dem Friedhof nicht mehr verloren. Was fürs Scheißen gilt, gilt für Heroin, Crack und Meth schon lange.
Wer es schnell braucht sucht sich die erste Ecke – direkt bei der Scheiße. Eine Crackpfeife und endlich wieder zehn Minuten Ruhe und Frieden. Wer es sich hübsch machen will geht ein paar Meter weiter, wo hohe Nadelbäume die alten Gräber überwuchern. Die Junkies übernehmen sie das, was die überforderten Tiere nicht mehr hin bekommen: Sie suchen Schutz, bauen sich eine Höhle. Während die Köter wie angestochen im Kreis rennen sitzen die Junkies im Dunkeln und hoffen nicht Gefressen zu werden. Hier kann man schon mal Probe sitzen für den Goldenen Schuss. Manche Junkies nehmen ihre Spritzen wieder mit, oder stecken sie in den Boden – denk doch mal wer an die Kinder! Die meisten lassen sie liegen. Unter den Tannen und in den Erdlöchern lagern die reinsten Fakirbretter.
Dazwischen haben die Krokusse den Nerv zu blühen! Zwischen Knäueln von Alufolie, blutigen Taschentüchern, und stapelweise Kanülen. Wo sonst bekommt man den Frühling so schön entkitscht?
Drei gutes hat der tägliche Terror: Vor Kindern hat man Ruhe. Selbst die gesottenste Impfgegnerin würde ihr Balg hier nicht gegen AIDS immunisieren. Hipster trauen sich nicht zwischen die Büsche: Die Bullterrier der Camoufageprolls würden ihre Currypikas im Nullkommanichts durchbeißen. Vor allem aber ist der Friedhof ein kleines Stück Wildheit mitten im Heimatland der Norm. So wild, dass nicht mal mehr die Naturnorm eingehalten wird: Der Friedhof ist hässlich, stinkt, und für Opfer sicher gefährlich. Er ist an der Vorderfront der Gentrifizierung unfreiwillig zu einem Biotop für die letzten Außenseiter geworden. Er verbreitet das Chaos wegen dem die halbe spießige Welt nach Berlin will, und das sie so fürchtet. Traditionell kann und soll das nicht sein: Es sind schon Pläne auf dem Tisch den Friedhof in einen Park umzuwandeln. Mit Wegen mit Schienenbeinbrecherzäunchen. Mit Mülleimern alle 50 Meter. Und mit patrouillierenden Ordnungsamtstpßtrupps. Da die Revolution leider scheinbar auf die nächsten 100 Jahre vertragt wurde ist das Einzige, was das verhindern kann, die wahnwitzige Korruption und Unfähigkeit des Senats. Oder der Winter.